k+a 2019.4 : Künstlerischer Austausch im Frühmittelalter | Échanges artistiques au haut Moyen Âge | Scambi artistici nell’alto Medioevo

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Dass die Kunstproduktion Grenzen überschreitet, ist ein bekanntes Phänomen. Der gegenwärtig durchgehend globalisierte Kunstmarkt ist der Inbegriff eines Netzwerks, das kaum Grenzen kennt. Doch wie sah die Situation vor 1000 oder gar 1500 Jahren aus? Welchen Austausch gab es unter Steinmetzen und vielen anderen spezialisierten Kunsthandwerkern im territorialen Raum, den wir heute Schweiz nennen? Diesen Fragen gehen unsere Autorinnen und Autoren in der aktuellen Ausgabe von Kunst + Architektur in der Schweiz nach. So lernen wir Venezianer auf der Reichenau kennen, entdecken Schmuck und Glasperlen aus Sri Lanka am Genfersee und erhalten Einblicke in die Zusammenhänge von Buchmalerei mit Elfenbeinschnitzerei und Wandbemalung. Der durch Alpen, Jura und Mittelland geprägte Landschaftsraum war offenbar wie geschaffen dafür, eine natürliche Kreuzung für den Austausch zwischen Völkern und Kulturen zu bilden.

Die Aktualität des Themas zeigt sich auch in den Ausstellungen, die zurzeit in Basel, Sitten und bis Mitte 2020 auch in Lausanne zu sehen sind und auf die wir im Heft näher eingehen. Ein Besuch lohnt sich! Neben der Goldenen Altartafel und dem Heinrichskreuz in Basel sind in den Ausstellungsräumen in der Romandie auch die unmittelbare Faszination des Lebens in jener Epoche und die Eleganz ihrer Kult- und Handwerksgegenstände erlebbar.

 

Essay | Essai | Saggio
Martin Roch
Völker und Kulturen in der Schweiz des Frühmittelalters

Zusammenfassung
In den Jahrhunderten nach der Zeit der römischen Besetzung erfährt das Gebiet der aktuellen Schweiz zahlreiche, teils schnelle und offensichtliche, teils langsam fortschreitende Veränderungen. Es ist auch eine Zeit der Kontakte, des Austauschs oder gar der Verschmelzung verschiedener Völker und Kulturen: Kelten, Römer, Germanen – aber auch die rastlosen Händler aus dem Osten oder die Mönche aus Irland. Die Schweiz des Frühmittelalters widerspiegelt auf kleinstem Raum die tiefgreifenden Veränderungen, von denen das Abendland in jener Zeit betroffen war. In diesem historischen Zusammenhang ist der Austausch von Kunstgegenständen zwischen dem 5. und 10. Jahrhundert zu betrachten.

 

Dossier 1
Pierre Alain Mariaux
Remploi ou recyclage ?
Regarder le haut Moyen Âge


Zusammenfassung
Blickpunkt Frühmittelalter
Wiederverwendung oder Recycling?

In der traditionellen Geschichtsschreibung sind Brüche und Veränderungen zwischen den einzelnen Epochen von grossem Interesse. Auch unser Verständnis des Frühmittelalters wird von dieser Sichtweise geprägt. Betrachtet man jedoch Materialien und Elemente, die zur Erschaffung von Objekten verwendet wurden, ergibt sich ein gegenteiliges Bild. Kontinuität hinsichtlich der ausgewählten Materialien und Gegenstände, der Fortführung bestimmter Praktiken oder Verfahren und der Kreation von Formen prägt hier die Situation. In dieser Studie gehe ich am Beispiel des Teuderigus-Reliquiars – eines in der Abtei Saint-Maurice aufbewahrten Meisterwerks der mittelalterlichen Goldschmiedekunst – näher auf diese Materialfrage ein.

 

Dossier 2
Romina Schiavone
Venetier auf der Reichenau?
Frühmittelalterliche Bauskulptur aus St. Peter und Paul in Niederzell

Zusammenfassung
Während umfangreicher archäologischer und bauhistorischer Untersuchungen der Kirche St. Peter und Paul in Reichenau-Niederzell kamen in den 1970er Jahren knapp 50 Werksteine zutage, die als Bestandteile von Schrankenanlagen der karolingerzeitlichen Kirche diskutiert werden. Nachgewiesen wurden Platten, Pfosten, Kämpfer, Säulchen und kleine Kapitelle. Die Motivanalyse zeigt deutlich transalpine Verbindungen in den venetischen Raum. Während die Bauskulptur der Region an der venezianischen Lagune in Marmor und Kalkstein gearbeitet ist, wurde für die Flechtbandsteine auf der Reichenau lokaler Molassesandstein verwendet, der in der Bodenseeregion vorkommt. Die engen motivischen und technisch-stilistischen Parallelen der transalpinen Orte lassen auf eine Werkgruppe schliessen, die möglicherweise mit denselben Werkleuten einhergeht. Eine historische Verknüpfung kann über die hochrangige Persönlichkeit Eginos von Verona erfolgen, der vor seiner Stiftung auf der Reichenau im Jahr 799 den Bischofsstuhl von Verona innehatte. Auch sein Vertrauter und Nachfolger in Verona, Ratold, kommt in Frage. Dieser war mit König Pippin von Unteritalien verbunden, der wiederum in Konflikten mit den Byzantinern um Venedig stand. In der Summe ergibt sich ein enges Netzwerk, in dessen Rahmen ein künstlerischer Austausch zwischen der Bodenseeregion und Venetien möglich war.

 

Interview | Interview | Intervista
Interview: Susan Marti, Kuratorin Mittelalter, Bernisches Historisches Museum
Mitarbeit: Sabine Utz, Musée cantonal d’archéologie et d’histoire Lausanne
«Frühes Mittelalter»: eine Ausstellung in Sitten und Lausanne
Ein Gespräch mit Lionel Pernet, Leiter des Kantonalen Museums für Archäologie und Geschichte in Lausanne, und Patrick Elsig, Leiter des Geschichtsmuseums in Sitten.

 

Focus
Sabine Söll-Tauchert
Die Gaben Kaiser Heinrichs II. in der Ausstellung «GOLD & RUHM»
Anlässlich des 1000-jährigen Jubiläums der Basler Münsterweihe werden die einzigen erhaltenen Geschenke Kaiser Heinrichs II. wieder zusammengeführt. Die Ausstellung des Historischen Museums Basel breitet unter dem Titel «GOLD & RUHM – Geschenke für die Ewigkeit» ein Panorama der Zeit unter dem letzten ottonischen Kaiser Heinrich II. aus. Zu den Highlights der Exponate zählen die Goldene Altartafel (Paris, Musée de Cluny – musée national du Moyen Âge) und das sogenannte Heinrichs-Kreuz (Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum), die der Kaiser wohl anlässlich der Weihe am 11. Oktober 1019 dem Münster schenkte.

 

Dossier 3
Chantal Martin Pruvot, Bernard Gratuze
Des perles en verre d’Inde du Sud ou du Sri Lanka au bord du Léman
Importations pour l’élite mérovingienne

Zusammenfassung
Glasperlen aus Südindien oder Sri Lanka an den Ufern des Genfersees
In vier Frauengräbern der frühmittelalterlichen Nekropole Clos d’Aubonne in La Tourde-Peilz wurden Perlen aus Gold und winzige grüne opake Glasperlen gefunden, welche die Aufmerksamkeit der Archäologen rasch auf sich zogen. Vergleiche mit ähnlichen Funden aus Gebieten am Rhein und in Nordgallien bestätigten nämlich, dass dieser Schmuck auf Kopfbedeckungen von Frauen der Oberschicht gestickt worden war. Mit Hilfe physikalischchemischer Analysen und von Vergleichen dieser Mikroperlen mit anderen Exemplaren aus dem gesamten Merowingerreich konnte nachgewiesen werden, dass sie aus Südindien oder Sri Lanka stammen. Diese Resultate zeugen von der Handelstätigkeit zwischen dem Indischen Ozean und dem westlichen Merowingerreich und decken sich mit den Erkenntnissen anderer Forscher über die Herkunft von Granatfunden.

 

Dossier 4
Guido Faccani et Mathias Glaus
L’évêque dans sa cité au premier millénaire
Les groupes épiscopaux à Genève, Martigny, Avenches et Lausanne

Zusammenfassung
Bischöfliche Kirchenanlagen in Genf, Martigny, Avenches und Lausanne
Das frühe Christentum breitete sich von den grossen römischen Zentren entlang der Verkehrswege aus, was auch für den französischsprachigen Teil der Schweiz gilt. An drei jeweils über die Antike zurückreichende Wurzeln aufweisenden Zentren installierten Bischöfe ihren Sitz: Genf, Martigny und Avenches. Genf konnte sich halten, die beiden anderen verloren ihren Status um 600 an Sitten resp. Lausanne. An allen Orten sind Kirchenbauten archäologisch erfasst. Der Stand der Forschung ist für die beiden am frühesten nachweisbaren Sedesorte Genf und Martigny durch z.T. grossflächige Grabungen gut nachvollziehbar. An den anderen drei Orten sind zum Teil wie in Lausanne archäologische Ausgrabungen noch am Anfang des vergangenen Jahrhunderts getätigt worden, aber weder ausgewertet noch mit der aktuellen Forschung verknüpft. Ein Desiderat, dem in Lausanne bald nachgegangen werden kann.

 

Dossier 5
Sabine Utz
Le pictor, la paroi et le parchemin
Échanges artistiques entre enluminure et peinture murale autour du lac de Constance à la fin du IXe siècle

Zusammenfassung
Maler zwischen Wand und Pergament
Sankt Gallen und die Reichenau waren im Karolinger- und Ottonenreich einflussreiche Klöster und unterhielten enge Beziehungen zu den jeweiligen Herrschern. In der Bodenseeregion sind nicht nur bedeutende Wandmalereien aus dem 9. und 10. Jahrhundert erhalten, sondern auch zahlreiche Bilderhandschriften aus jener Zeit. Wer waren die Urheber solcher Bilder? In den erwähnten Klöstern waren es in der Regel Mönche. Betätigten sie sich nur an einem Ort, oder zogen sie umher? Inwiefern bedienten sich diese Spezialisten nur einer bestimmten Technik? Zwar geben uns vorhandene Quellen gewisse Hinweise zu diesen Fragen, aber auch der stilistische Vergleich zwischen den Wandund den Buchmalereien am Ende des 9. Jahrhunderts kann uns neue Perspektiven in der Erforschung der Tätigkeiten dieser Kunsthandwerker im Frühmittelalter eröffnen.

 

Dossier 6
Francesca Pistone
L’intaglio in avorio in epoca tardocarolingia e ottoniana nell’area del lago di Costanza
Dati e ipotesi sulla produzione eburnea a San Gallo e Reichenau

Zusammenfassung
Spätkarolingische und ottonische Elfenbeinschnitzereien im Bodenseeraum
Während die Kunstproduktion der Region Bodensee in spätkarolingischer und ottonischer Zeit durch die Buchmalerei der Klöster Sankt Gallen und Reichenau gut dokumentiert ist, so haben sich im Gegensatz dazu nur wenige Spuren der Elfenbeinbearbeitung erhalten. Die Problematik der Tafel mit der Fusswaschung und der Kreuzigung des Rheinischen Landesmuseums in Bonn (Inv. Nr. A 908), die entweder der Reichenau oder Norditalien zugeschrieben wird, stellt die Frage in den Raum, ob die dem Mönch Tuotilo zugeschriebenen Elfenbeinarbeiten des Einbands von Cod. 53 (Sankt Gallen, Stiftsbibliothek) einen Einzelfall darstellen oder ob von einem grösseren Produktionskontext auszugehen ist.

 

Dossier 7
Michael Wolf
… in anderem Licht gesehen …
Neue Einblicke in die karolingische Wandmalerei der Klosterkirche Sankt Johann in Müstair

Zusammenfassung
Mit modernem Technical Imaging kann die vielfältige Anwendung von Ägyptisch Blau in der mittelalterlichen Wandmalerei beobachtet werden. Damit stehen die karolingischen Wandbilder in der Klosterkirche Müstair ganz in der antiken Tradition der klassisch römischen Werktechnik Italiens, wie bei Untersuchungen in Pompeji erkannt wurde. Auch andere Lichtspektren, zum Beispiel die Infrarot-Reflexionen, brachten mehr Klarheit in den überlieferten Bildbestand. So fand sich ein Vergleich in der karolingischen Buchmalerei, um das Adler-Symbol des Evangelisten Johannes mit gebreiteten Schwingen zu rekonstruieren. In Einzelbeispielen, wie einer Vogelranke oder bei der Rückenfigur im Bild «Speisung der Fünftausend» zeigt sich die räumlich-illusionistische Wirkungsabsicht von Ägyptisch Blau. Können wir in der speziellen, auf der Bildrahmung plazierten Figur vielleicht einen beteiligten Wandmaler – einen artifex – erkennen? Durch Multispektralaufnahmen wird ein bis in antike Kunsttechnologien zurückreichender, wesentlicher Bestandteil frühmittelalterlicher Wandmalerei erkennbar.

 

Interview | Interview | Intervista
Ein einzigartiges frühmittelalterliches Gedächtnis
Ein Gespräch mit Stiftsarchivar Peter Erhart über frühmittelalterliche Lebenswelten, den St. Galler Klosterplan und das digitale Leben des Archivs in der Gegenwart.

 

Aktuell | Actuel | Attuale
Nicole Pfister Fetz, lic. phil. I, Präsidentin GSK
Billet de la présidente
Für das Bauerbe sensibilisieren!

 

Aktuell | Actuel | Attuale
140. Jahresversammlung der GSK
Am Samstag, 25. April 2020, findet im Théâtre Equilibre in Freiburg die 140. Generalversammlung der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte GSK statt.

 

Aktuell | Actuel | Attuale
Einbände für k + a 2019
Sie können die vier Ausgaben des Jahres 2019 von Kunst + Architektur in der Schweiz zu einem Buch binden zu lassen. Die Buchbinderei RUF AG in Bern offeriert zum Preis von CHF 74.80 (inkl. MWSt. und Versandkosten) einen mittelblauen Kunststoffeinband (Baladek) mit Kapitalband, weisser Prägung auf Rücken und Deckel sowie Klebebindung. Bitte senden Sie die vier Nummern des 70. Jahrgangs 2019 spätestens bis zum 31. Januar 2020 direkt an RUF AG Buchbinderei Prägeatelier, Freiburgstrasse 420, 3018 Bern. Die Auslieferung wird Ende Februar 2020 erfolgen. Das Inhaltsverzeichnis finden Sie auf www.gsk.ch/de/zeitschrift-ka.html.

 

Bücher | Livres | Libri
Karina Queijo

  • Le Château Saint-Maire, Lausanne (XIVe-XXIe siècle)
    Brigitte Pradervand (réd. et coord.), 208 pages, Lausanne, Section monuments et sites / SIPAL, 2018, ISBN 9782607001857, CHF 70.-

 

Auslandreisen | Voyages à l’étranger | Viaggi all’estero

  • Kulturschätze in Siziliens Westen
    Friedrich II. und die Faszination des arabischen Morgensterns
  • Die Seidenstrasse als Bildungsweg und Kunstmeile
    Oasenstädte in der Wüste Kysylkum

 

Impressum | Impressum | Colophon
Kunst + Architektur in der Schweiz
Art + Architecture en Suisse
Arte + Architettura in Svizzera
70. Jahrgang, 4.2019 Erscheint vierteljährlich
Année 70, 4.2019 Paraît tous les trimestres
Anno 70, 4.2019 Esce quattro volte all’anno
Herausgeberin / Direction de publication/Editore
Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte GSK
Société d’histoire de l’art en Suisse SHAS
Società di storia dell’arte in Svizzera SSAS
Pavillonweg 2
CH-3012 Bern
Tel. 031 308 38 38
Fax 031 301 69 91
E-Mail gsk@gsk.ch

 

Vorschau

  • 1.2020
    Sammler und Sammlungen | Collectionneurs et collections | Collezionisti e collezioni
  • 2.2020
    Architektur und Automobil | Architecture et automobile | Architettura e auto
  • 3.2020
    Postbauten – Kunst am Bau | Édifices postaux – Kunst am Bau | Edifici postali - Kunst am Bau
  • 4.2020
    Kunst im Austausch: Schweiz – Niederlande | Art en échange : Suisse – Pays-Bas | Arte e scambi tra Svizzera e Paesi Bassi

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Preis
CHF 25.00
GSK-Mitgliederpreis
CHF 17.00
Type:
Buch
Abbildungen
150
Seitenzahl
88
Autoren
Diverse
Artikelnummer
K+A-2019.4
Inhaltssprache
Deutsch
Französisch
Italienisch
Erscheinungsdatum
ISBN
978-3-03797-596-1
Bandnummer
70. Jahrgang, 4.2019
Verlag
Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte